Gertrud Heinzelmann
Eine unheilige Provokation. Die Zürcher Juristin Gertrud Heinzelmann fordert katholische Priesterinnen und erhält kaum Unterstützung
Olympe. Feministische Arbeitshefte zur Politik, Nr. 20, Zürich 2004
Es «überschreitet derart jedes Mass an anständiger und sachlicher Stellungnahme» , es sei «willkürlich und fälschlich» und «maßlos» übertrieben, «ein pures Hirngespinnst» , was Gertrud Heinzelmann nach Rom geschrieben habe, ließen Schweizer Zeitungen ihre Leserschaft wissen. Papst Johannes XXIII. hatte für den Herbst 1962 seine Bischöfe zum Zweiten Vatikanischen Konzil einberufen und das Kirchenvolk aufgefordert, Wünsche und Verbesserungsvorschläge ans Konzil zu senden. Es war das Wort «ich», das in Gertrud Heinzelmanns Schreiben den Anstoß zur öffentlichen Empörung gab. So schrieb sie an den Papst und die Kirchenoberen im zweiten Satz: «Ich ergreife das Wort als eine Frau unserer Zeit, die durch Studium, Beruf und langjährige Tätigkeit in der Frauenbewegung die Nöte und Probleme ihrer Schwestern kennt. (...) Meine Worte möchte ich verstanden wissen als Klage und Anklage einer halben Menschheit – der weiblichen Menschheit, die während Jahrtausenden unterdrückt wurde und an deren Unterdrückung die Kirche durch ihre Theorie von der Frau in einer das Christliche Bewusstsein schwer verletzenden Weise beteiligt war und beteiligt ist.»
Zu Beginn der 1960er-Jahre waren dies weltweit avantgardistische Worte. Sie brachen mit dem Geschlechterverständnis der römisch-katholischen Kirche. Kühn setzte sich Gertrud Heinzelmann über die kirchliche Definition, was eine Frau sei und wie sie sich zu verhalten habe, hinweg und antwortete der männlichen Definitionsmacht mit weiblicher Lebenserfahrung. Am Beispiel der theologischen Lehre von Thomas von Aquin wies sie der Kirche Frauendiskriminierung nach. Seine Theologie tradierte die scholastische Vorstellung des weiblichen Minderwerts. Gemäß seiner Lehre war eine Frau nicht zu höheren geistigen Leistungen fähig und konnte somit auch nicht ein priesterliches Amt bekleiden. Die Schriften des mittelalterlichen Gelehrten waren noch in den 1960er-Jahren des 20. Jahrhunderts unangefochten und gehörten für Generationen angehender Theologen zum maßgebenden Pflichtstoff. Gertrud Heinzelmann verlangte vom Konzil sofortige Anpassung an ein zeitgemäßes Geschlechterbild und forderte, was «jedem mäßig begabten Mann» zustehe: die Zulassung der Frauen zum Priestertum und zu allen höheren Kirchenämtern.
Für die Schweiz ein doppelter Angriff
Diese bahnbrechende Eingabe ans Vatikanische Konzil wäre unbeachtet und wirkungslos geblieben, hätte sie nicht außerhalb wie innerhalb der Kirche den Stellenwert einer Provokation erhalten. Gertrud Heinzelmann schrieb aus der ohnmächtigen Position derjenigen, die von Macht und Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Als Frau war ihr der Zutritt zum kirchlichen Machtzentrum verwehrt, und sie hatte nur als Autodidaktin Zugang zu theologischer Bildung. Frauen waren bis nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zum katholischen Theologiestudium zugelassen.
Ähnlich war ihre Situation als Schweizer Bürgerin. Sie besaß kein politisches Stimm- und Wahlrecht und konnte nicht auf eine öffentliche Vertretung durch einflussreiche Verbände und politische Parteien zählen. Ihr stand einzig die bescheidene Gegenöffentichkeit der Stimmrechtlerinnen zur Verfügung. Sie war Vizepräsidentin des Zürcher Frauenstimmrechtsvereins, der rund 500 Mitglieder zählte und monatlich im Vereinsblatt «Die Staatsbürgerin» über die Bestrebungen in der Frauenstimmrechtsfrage berichtete. Mutig druckten die Stimmrechtlerinnen die kirchlichen Gleichberechtigungsforderungen ihrer Vizepräsidentin ab. Ein Journalist der internationalen Nachrichtenagentur UPI las zufällig das Heft und verfasste sogleich eine Agenturmeldung, die um die Welt ging.
Die Schweiz reagierte heftig. Das einzige Land in Europa ohne Frauenstimmrecht verstand Gertrud Heinzelmanns Forderungen als eine Provokation, als einen doppelten Angriff, der auf die Kirche wie auf den Staat zielte. Drei Jahre zuvor hatten sich Dreiviertel der Schweizer Männer an der Urne gegen die Einführung des eidgenössischen Frauenstimmrechts ausgesprochen. Der allgemeine Unwillen gegen die politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung der Frauen saß tief.
Die katholische Schweizer Presse witterte einen umstürzlerischen Versuch, die gottgegebene Geschlechterordnung ins Wanken zu bringen, und verhöhnte Gertrud Heinzelmann als eine zweite Iris von Roten. Diese hatte 1958 in ihrem Emanzipationswerk «Frauen im Laufgitter» die Diskriminierung der Schweizerinnen schonungslos benannt und war für ihre scharfsinnige Analyse mit Spott und gesellschaftlicher Ächtung bestraft worden. Die reformierten und überkonfessionellen Schweizer Tageszeitungen wehrten mit Schweigen ab, einige druckten die UPI-Meldung, vereinzelt erschienen auch gehässige Verrisse.
Die Frauen aber hätten Gertrud Heinzelmann unterstützen und ihre Konzilseingabe zum willkommenen Anlass für öffentliches Aufbegehren nehmen können. Zu verlieren gab es nach dem erdrückenden Nein der Schweizer Männer zum eidgenössischen Frauenstimmrecht nichts. Gertrud Heinzelmanns Selbstbewusstsein, das kühn «ich» sagte und vorausschritt, liess die Mehrheit der Schweizerinnen auf Distanz gehen.
Die evangelische Theologin Marga Bührig hielt Gertrud Heinzelmanns Handlung für «ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes ‚Vorprellen‘» . Die katholische Juristin Elisabeth Blunschy-Steiner, die später erste Schweizer Nationalratspräsidentin werden sollte, sah in der Eingabe ein «Schulbeispiel, wie man es nicht machen sollte, wenn man etwas erreichen will» . Stellvertretend für die Schweizer Frauenorganisationen sandte die Präsidentin der Dachverbandes Gertrud Heinzelmann «die besten Wünsche für ihren Kampf». Doch zur tatkräftigen Unterstützung fehlte der Wille: «So Jahrhunderte und Jahrtausende alte Vorurteile sind nicht leicht zu überwinden.»
Für den Vatikan ein Reizwort
Im Vatikan trafen aus der ganzen Welt 2700 Vorschläge und Wünsche ein, darunter Gertrud Heinzelmanns Eingabe. Sie hätte in der Papierflut leicht übergangen werden können und wäre am Konzil, dem Gipfeltreffen der kirchlichen Macht, ohne Trägerschaft und ohne Medienzugang nie zur Provokation geworden. Die Unterstützung leistete bezeichnenderweise ein kirchlicher Quereinsteiger und Nischenplayer. Der amerikanische Konzilsmitarbeiter Placidus Jordan las die UPI-Meldung und verfasste eine Nachricht für den einflussreichen News Service der amerikanischen Bischöfe. Die Meldung erreichte den päpstlichen Hof, ging an Pfarreien und Diözesen in Amerika, Afrika und Europa.
Placidus Jordan verfügte dank seinem atypischen Vorleben – er war Starreporter des amerikanischen Rundspruchs NBC – über ein illustres internationales Beziehungsnetz. Sein Ansehen bei der Kirchenhierarchie gründete auf seiner informellen Macht. Er lobbyierte bei den amerikanischen Bischöfen für Gertrud Heinzelmanns Gleichberechtigungsanliegen, aber nur so weit, als dass seine Position nicht gefährdet war. Ihre Hauptforderung nach der Zulassung der Priesterinnen hielt er für verfrüht.
Die wenigen Konzilsteilnehmer, die sich für die Gleichberechtigung einsetzten, erschütterten das kirchliche Macht- und Geschlechterverhältnis nicht, dennoch waren ihre Vorstöße für den Vatikan Provokation genug und forderten zur Stellungnahme heraus. Kurz vor Konzilsende 1965 publizierte der «Osservatore Romano», das Sprachrohr des Heiligen Stuhls, eine Artikelserie gegen die Zulassung der Frauen zum Priestertum.
Im historischen Rückblick ein Aufbruch
Gertrud Heinzelmann selbst verstand sich nie als Provokateurin. Sie hatte mit den Mitteln, die ihr als Juristin zur Verfügung standen, innerhalb der legalen Möglichkeiten gehandelt. Ihre Worte betrachtete sie als eine Notwendigkeit. «Ich bin», schrieb sie während der Konzilszeit in einem privaten Brief, «mit jeder Faser dem Neuen verpflichtet und behaupte gerade deshalb, ein sehr guter Christ zu sein.»
Gertrud Heinzelmanns kühnes «Ich», ihr selbstbewusstes Einfordern kirchlicher Gleichberechtigung, wird vier Jahrzehnte nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht mehr als Provokation verstanden, sondern gilt als Beginn der feministischen Theologie.
Barbara Kopp
1 Das Vaterland, 08.09.1962.
2 Aargauer Volksblatt, 14.09.1962.
3 Wohler Anzeiger, 16.09.1962.
4 Gertrud Heinzelmann (1964): Wir schweigen nicht länger! We Won’t Keep Silence Any Longer! Frauen äussern sich zum II. Vatikanischen Konzil. Women Speak Out to Vatican Council II, Interfeminas-Verlag Zürich, S. 20 – 44.
5 Marga Bührig (1999): Spät habe ich gelernt, gerne Frau zu sein, Stuttgart, S. 120.
6 Schweizer Frauenblatt, 01.03.1963.
7 Dora I. Rittmeyer-Iselin an Gertrud Heinzelmann, 07.08.1962.